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Raubzug gegen das eigene Volk


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Raubzug gegen das eigene Volk
v. Reinhard Dobrinski

Wirtschaftspolitische Verfolgungen in der DDR und ihre juristischen Grundlagen

Mit Gründung der DDR stellte sich alsbald heraus, daß die vom Deutschen Reich übernommenen Strafrechtsgrundlagen, das Strafgesetzbuch vom 15.5.1871/ 26.2.1876/ 24.11.1933 und die Strafprozeßordnung vom 1.2.1877, für die justitielle Flankierung der Architektur der angestrebten neuen Gesellschaftsordnung allein nicht ausreichten.

War es zunächst die sogenannte antifaschistisch-demokratische Ordnung, die die SED in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone zum Staatsziel erhob, wurde nur wenig später durch Walter Ulbricht auf der II. Parteikonferenz am 9.7.1952 der Aufbau des Sozialismus ausgerufen: Eine neue Gesellschaftsordnung, gestützt auf eine neue Eigentumsordnung, dem gesellschaftlichen Eigentum.

Die Sequestierungen der Vermögen von kapitalistischen Konzernen, Großbanken, Versicherungen, Organisationen usw. auf der Grundlage des Befehls Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 31.10. 1945 waren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Der SMAD-Befehl vom 17.4.1948 erklärte die Enteignungen für beendet. Es war die »Geburtsstunde« der volkseigenen Betriebe und in rüstungs-relevanten Bereichen der Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG), späterhin Deutsch-Sowjetische Aktiengesellschaften (DSAG); die weithin bekannte DSAG Wismut besorgte den Abbau der reichhaltigen Uranlagerlagerstätten in der SBZ/DDR.

In der Landwirtschaft war die alte, durch Großgrundbesitz geprägte Eigentumsordnung unter der ideologischen Losung »Junkerland in Bauernhand« schon 1946 durch die Bodenreform liquidiert worden.

Die insbesondere auf das Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 10 vom 20.12.1946 und die §§ 57, 58 des Strafgesetzbuchs der RSFSR gestützte Verfolgung von NS- und Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Sowjetunion, die 1945-1949 zu den bekannten exzessiven Masseninternierungen unter Nutzung der »Infrastruktur« der NS-Diktatur durch die sowjetische Besatzungsmacht führten, trat in den Hintergrund. Der Schutz der neuen Gesellschafts- und Eigentumsordnung durch die sowjetische Imperialmacht und die Sicherheitsorgane der DDR gewann zunehmend an Priorität. In der Arbeitsteilung zwischen dem sowjetischen Innenministerium (MWD - Ministerstvo Vnutrennych Del), Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) und DDR-Sicherheits- und Justizorganen rangen die Funktionsträger der DDR-Organe um den Nachweis, im internationalen Klassenkampf der Sowjetunion verläßlicher Verbündeter zu sein.

Zunächst waren es in Verbindung mit den SMAD-Befehlen die Wirtschaftsstrafverordnung (WStVO) vom 23.9. 1948 i. d. F. der Änderungsverordnung vom 29.10.1953, GBl. S. 1077, die Verordnung über die Bestrafung von Spekulationsverbrechen vom 22.6.1949, ZVOBl. S. 471 und die Verfassung der DDR von 1949 mit dem berüchtigten Artikel 6, die der wirtschaftspolitischen und politischen Verfolgung Tür und Tor öffneten. Mit den Tatvorwürfen des Boykotts sowie der Mord- und Kriegshetze erlangte der Staatsterrorismus in der DDR vom Gründungstag an Verfassungsrang. Der Strafrahmen bot bei den für Verbrechen vorgesehenen Freiheitsstrafen von zwei Jahren Zuchthaus aufwärts bis hin zur Todesstrafe zunächst ein hinreichendes Instrumentarium. Das Recht wurde Mittel des Klassenkampfes und ideologische Waffe.

Beim Vergleich der Rechtsanwendung der §§ 57, 58 des StGB (RSFSR) und des Artikel 6 der Verfassung der DDR vom 7.10.1949 (1949) ist eine systemimmanente Grundhaltung unübersehbar: Die Verhängung von Freiheits-/Todesstrafe, Eigentumseinziehung und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte als Gesamtstrafe.

Zwar kannte auch das Reichs-StGB vom 15.5.1871 (in der DDR bis 1968 einschließlich der Ergänzungen im »Dritten Reich« fortgeltendes Recht) diese Zusatzstrafen, aber ihre volle Entfaltung zu Instrumenten des Klassenkampfes erfuhren sie erst im DDR-Strafrecht. Die mit dem StGB (1871) gegebenen Beschränkungen wirtschaftspolitischer Strafverfolgung wurden mit dem vorgenannten Spekulationsbekämpfungsgesetz und der WStVO allerdings nur vorübergehend überwunden. Auch die neue Strafprozeßordnung der DDR vom 2.10.1952, GBl. Nr. 142 S. 996, die die Rechte der Beschuldigten und Angeklagten auf ein den Machthabern erträgliches Niveau zurückschnitt, konnte das Bedürfnis (wirtschafts)politischer Verfolgung nicht annähernd absichern.

Einsetzende Massenfluchten aus der DDR (»Republikflucht«), unter Sabotageverdacht gestellte Nichterfüllung der Ablieferungspflicht durch nicht von der Bodenreform betroffene Großbauern und Übergriffe auf das Volkseigentum waren Tatbestände neuer Dimension im Klassenkampf. Die Bedienung ideologischer Vorgaben in der Gesetzgebung trat besonders deutlich in dem Gesetz zum Schutz des Friedens vom 15.12.1950, GBl. S. 1199, zutage. Die westlichen Alliierten der Antihitlerkoalition wurden dem Generalverdacht ausgesetzt, auf »ein neues Weltgemetzel« hinzuarbeiten. Es ist davon auszugehen, daß Ende 1952/Anfang 1953 zwei Drittel der Inhaftierten wegen dieser Delikte verurteilt oder in Untersuchungshaft gehalten wurden. In dieser Situation, in der überall die Präsenz des Weltimperialismus gewittert wurde und die SED vorgab, den drohenden 3. Weltkrieg zu verhindern, erfüllten Angehörige der Sicherheitsorgane und nicht unbedeutende Teile der Richterschaft ihren Klassenkampfauftrag offensichtlich unzureichend. Hilde Benjamin, damals noch Vizepräsidentin am Obersten Gericht der DDR und Rivalin des ehemals sozialdemokratischen Justizministers Fechner, empfahl sich im Februar 1953 für die ranghöchste Aufgabe der DDR-Justiz. Ein ihr zu mildes Urteil für eine Straftat, die zeitlich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des Volkseigentums lag, wollte sie mit einer nach diesem Gesetz vorgesehenen höheren Strafe belegt sehen. Das Rückwirkungsverbot, selbst in der damaligen DDR-Verfassung zu finden, hinderte sie nicht, öffentlich zur Rechtsbeugung aufzurufen. Ihre Schelte der Berufskollegen ist vom Geist des Klassenkampfes getragen, der allerorts jeden Übergriff legitimierte:

»Gelernt haben die meisten dieser Richter, was Volkseigentum und sein Schutz bedeutet, aber in ihren Urteilen, durch ihre Prozeßführung aktiv den Kampf dafür führen, das können (oder wollen?) sie noch nicht. Das ‚Ausweichen’ zeigt sich nun vor allem darin, daß man die Anwendung des Gesetzes umgeht, indem man mit theoretischen Erörterungen die Anwendung des § 2 des Gesetzes, der eine Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus vorsieht, vermeidet...«1

Der gnadenlos angewendete Artikel 6 der DDR-Verfassung von 1949 war vor dem Hintergrund eines sich vermeintlich verschärfenden Klassenkampfes um die Verordnung vom 17. 7. 1952 zur Sicherung von Vermögenswerten... GBl. 1952 S. 615 und das Gesetz vom 2.10.1952 zum Schutz des Volkseigentums und anderen Eigentums, GBl. 1952 S. 982, ergänzt worden. Alles unter dem hohen Anspruch der Mehrung und des Schutzes des Volkseigentums und der Abwehr von Angriffen gegen den Bestand des Staates (so die häufig wiederkehrenden Floskeln in den Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR in den 50er Jahren).

Noch deutlicher zeigt sich der Verfall jedweder Rechtskultur in einem »Fachartikel« eines Hauptreferenten des Ministeriums der Justiz:

»Allerdings gibt es für die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens auch andere Gründe, die zum Teil recht bedenklich sind. Wenn z. B. das Kreisgericht Erfurt-Ost die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt, weil es die Tat – es handelte sich um die Entwendung einer Persipanstange durch eine HO-Verkäuferin – als zu ‚geringfügig’ betrachtet, dann zeigt sich darin eine bedenkliche Schwäche der Richter.«2 (Persipan: Marzipanersatz – der Verfasser)

Im Zentrum des gleichermaßen nach innen und außen gerichteten Klassenkampfes stand seit 21.2.1950 ein Staatsorgan, das Ministerium für Staatsicherheit (MfS).

Es sei an dieser Stelle vorausgeschickt, daß die von MfS-Generälen und -Obristen immer wieder vorgebrachte Behauptung, in den Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der Verfassungs- und Rechtsordnung der DDR gehandelt zu haben, entweder nachträglichen Wunschvorstellungen entspringt oder auf einen ideologischer Borniertheit geschuldeten irreparablen Realitätsverlust hinweist. Die Unterlagen MfS-geführter Ermittlungsverfahren und darauf gegründete Strafurteile, die während der »revolutionären Phasen« immer neue Zielgruppen betrafen, liefern selbst noch nach Jahrzehnten den Schlüssel zur tschekistischen Methode der Beweismittel-, Zeugen- und Verfahrensmanipulation.

Allerdings, auch das sollte hier Erwähnung finden, vermittelt mitunter eine scheinbar ordentliche Aktendokumentation den an Verfahren zur Rehabilitierung von (wirtschafts)politisch Verfolgten beteiligten Richtern und Staatsanwälten einen ersten »positiven« Eindruck vom Ermittlungs- und Strafverfahren durch DDR-Strafverfolgungsorgane. Das kann soweit gehen, daß an protokollierter »Öffentlichkeit der Verhandlung« selbst bei nachweisbarem »Ausschluß der Öffentlichkeit«, § 211 StPO/DDR (1968/1974) festgehalten wird und Betroffenen die Rehabilitierung wegen gröblichster Verletzung des Rechtsstaatsprinzips versagt bleiben.

Das FORUM zur Aufklärung und Erneuerung e.V., das in straf- und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren Opfer vertritt, die im Ergebnis (wirtschafts)politischer Strafverfolgung auf der Grundlage der Steuer-, Preis-, Zoll-, Devisengesetzgebung neben beachtlichen Freiheitsstrafen auch mit Zusatzstrafen gemäß § 49 ff. StGB/DDR (1968/1974) belegt wurden, beobachtet dieses »Phänomen« mit großer Besorgnis. Es fällt offensichtlich Richtern und Staatsanwälten teilweise schwer, die DDR-Staatspraxis als der Strafverfolgung vorausgehende oder nachgelagerte Rechtswillkür zu verstehen. Perfektion erlangte diese DDR-Staatspraxis immer dann, und das kann als Lehrsatz aus der Diktaturforschung gelten, wenn Zusatzstrafen wie Berufsverbot oder Gewerbeerlaubnisentzug gemäß §§ 53, 55 StGB/ DDR als Nachschlag zum Strafurteil im Zusammenwirken zwischen MfS und örtlichen Staatsorganen vorsätzlich als Mittel zur Existenzvernichtung eingesetzt wurden.

Nachdem die großen »revolutionären« Umbrüche hin zur sozialistischen Eigentumsordnung vollzogen waren, wandte sich das MfS 1961/1962 einer besonderen Art von Staatskriminalität großen Stils zu. In einem als Staatsaktion »Licht« geplanten Raubzug wurden DDR-weit Blockschließfächer, Panzerschränke und Tresore in Gebäuden/Ruinen der ehemaligen kapitalistischen Banken, Sparkassen und Versicherungen ausgeräumt; Mielke rechnete den erzielbaren finanziellen Erfolg gegenüber Partei und Regierung mit 4,1 Mio. DM ab.

Während Goldschmuck, Edelsteine, Goldmünzen, Korpuswaren (d. h. Tisch- und Raumschmuck), Porzellane, Briefmarken, Gebrauchsgegenstände und Gemälde einzeln bewertetet wurden, sind Kupferstiche, Radierungen und Holzschnitte von Meistern des 16. und 17. Jahrhunderts den Protokollen zufolge nur lückenhaft bewertet worden. Schriften von Persönlichkeiten der deutschen und europäischen Geschichte, Urkunden, Tagebücher u. v. a. stellten die »Freibeuter« offensichtlich vor eine unlösbare Aufgabe, so daß eine paketweise Übergabe (insgesamt 82 Pakete) an die Tresorverwaltung des Ministeriums der Finanzen erfolgte (BStU: HA XVIII Nr. 13326 - 13228).

Weder Finanzminister Rumpf noch der Präsident der Deutschen Notenbank (DNB) widersprachen diesem kriminellen Akt. In der DNB Meerane stand das MfS allerdings unerwartet vor Problemen:

»Mit dem Leiter der DNB Meerane ... und dem Parteisekretär mußten ebenfalls Auseinandersetzungen geführt werden, da auch sie der Meinung waren, daß Mitarbeiter des MfS Tresorräume nicht zu betreten haben. Auf entsprechende Entgegnungen meinten beide übereinstimmend, daß auch führende Mitarbeiter der Regierung bereits Fehler gemacht hätten (unter Hinweis auf Wollweber und Schirdewan).« (BStU XVIII Nr. 13326, 20)

Die Urheber verliehen dem Raubzug einen Anschein von Legalität, indem die Herkunft aus der Zeit des Faschismus oder dem Eigentum »längst verstorbener Personen« betont wurde. Selbstverständlich darf unterstellt werden, daß den MfS-Verantwortungsträgern Heinz Volpert und Günter Wurm bekannt war, daß das Bürgerliche Gesetzbuch in der DDR fortgalt (an das Zivilgesetzbuch der DDR dachte damals noch niemand) und mit ihm das Erbrecht. Die Abgebrühtheit beim Zugriff auf das »fremde Eigentum« könnte jedoch eine Erklärung darin finden, daß Unterlagen auf ehemalige jüdische Mitbürger als Eigentümer hinwiesen. Die Formulierungen zur Herkunft der Beutegutes in den vorliegenden Berichten lassen einen solchen Schluß zu.

Auffällig beim Umgang mit dem hinzugewonnenen »Volkseigentum« ist die Schlampigkeit der Erfassung, die offensichtlich bei Beteiligten Wünsche zur »Reprivatisierung« weckte und erfüllen half.

Das hier zu sehende Übergabe-/Übernahmeprotokoll vom 15.10.1962 weist die damaligen Akteure aus. Als Übergebender zeichnete mit Rainer Pufe ein Erfahrungsträger, der bis zuletzt seinen hingebungsvollen Dienst im »Juliusturm« des MfS versah. In einer Nacht- und Nebelaktion kehrte er am 20.12.1989/4.1.1990 unter Mitwirkung von Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) der Hauptabteilung I der Staatsbank der DDR und des Finanzministeriums der DDR (MdF) das MfS-Endlager aus. Unbehelligt durch die Wachposten der Volkspolizei, die den »Schutz« der MfS-Objekte auf Beschluß des Zentralen Runden Tisches übernommen hatten, wurden 112 Behältnisse mit weißem und gelbem Metall, darunter Schmuck- und Wertgegenstände, Münzen, Medaillen, Zahngold, Silberbarren, Münz- und Briefmarkensammlungen, aus dem Gefahrenbereich in die Obhut der Finanzministerin Uta Nickel verbracht. Auch nach Übernahme der Restbestände aus dem MfS-Lager durch das Bundesfinanzministerium wurde diese Transaktion mit wenig Leidenschaft untersucht.

Dem 1981 wegen des »Verdachts des verbrecherischen Angriffs auf das sozialistische Eigentum« der tschekistischen Strafverfolgung ausgelieferten Wurm gelang es nach den Ermittlungsunterlagen der HA IX bereits 1962 erstmals, die Verwertungserlöse dreier Goldbarren abzuzweigen. Über zwei Jahrzehnte hinweg häufte er aus KoKo-ähnlicher Geschäftstätigkeit einen Schatz von 82 kg Gold, Goldschmuck und Edelsteinen an. Als Gründer und Betreiber der Fa. Industrievertretung, die unter den Augen des MfS, des MdF, der Staatsbank der DDR und anderer Institutionen eine vielfältige kommerzielle Tätigkeit ausübte, hatte er (sich) ein Eldorado geschaffen. Er richtete das Forsthaus »Sieh Dich um« im Naturschutzgebiet Schlaubetal ein und schuf ein »Sozialwerk zur Befriedigung der Herzenswünsche« höchster Staatsfunktionäre. Die vom Militärgericht beim OG der DDR verhängte Freiheitsstrafe von 15 Jahren, ein vollstreckter Wutanfall von Mielke, wurde nach zwei Jahren MfS-Haft durch den Tod infolge Knochenmarkerkrankung beendet (die Weiterbehandlung des Schwerstkranken im MfS-Haftkrankenhaus bleibt unter dem Gebot der Fürsorgepflicht über den Tod hinaus hinterfragungswürdig).

Als in den 70er Jahren u.a. durch das Sinken der Devisenrentabilität und dringend benötigter Deviseneinnahmen volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit und parteipolitische Zielsetzungen in immer spürbarere Widersprüche gerieten, sannen auch im MfS vom Elitedenken befallene »Strategen« darüber nach, der DDR zusätzliche Einnahmequellen in konvertierbaren Währungen zu erschließen. Kunst- und Kulturgut sowie Antiquitäten waren auf den sogenannten NSW-Märkten sehr begehrt, und die Konzentration entsprechender Außenhandelaktivitäten bei einem KoKo-Unternehmen, der »Kunst & Antiquitäten GmbH«, war ein gemeinsamer Lösungsvorschlag. Eine Direktive des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, die nach mehrjährigem Anlauf unter Federführung des MfS aus der Taufe gehoben wurde, sah die Erwirtschaftung von zusätzlichen 55,0 Mio Valutamark pro Jahr vor. Die Mitwirkung einiger Ministerien kam dabei offensichtlich nur deshalb zustande, weil das MfS Widerspruch bei den Beratungen im Ministerrat im Vorfeld zu umgehen verstand. Noch der letzte Winkel in der DDR wurde ausgekehrt, um Exportgut einzusammeln. Diese Aufkommensquellen versiegten jedoch alsbald, und es gerieten gleichermaßen Museumsbestände wie private Sammlungen in das Visier der KoKo-Händler. Es war die Zeit, da Staatssekretär Schalck-Golodkowski sich rühmte, auf NSW-Märkten alles absetzen zu können. Nur in Einzelfällen gelang es der Kommission zum Schutze des Kulturgutes, dem blindwütigen Ausverkauf Einhalt zu gebieten. DDR-Finanz- und -Steuerorgane sowie das MfS sicherten sich über den § 176 StGB/DDR allein oder im engen Zusammenwirken den Zugriff auf private Sammlungen. Exzessive Strafverfolgungen, insbesondere gestützt auf den Tatvorwurf der Verkürzung von Vermögen- und Einkommensteuer, führten zu einer Enteignungswelle mit schicksalhaften Auswirkungen für die Betroffenen.3

In den Verteilungskämpfen um Kunst-, Antiqutäten-, Münz- und Porzellansammlungen war das MfS zu seinem Leidwesen zunächst jedoch benachteiligt. Die gemäß § 339 StPO/DDR gerichtlicher Verfügung obliegenden Maßnahmen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit schlossen nach dem Wortlaut des Gesetzes das MfS von der Zuständigkeit für Eigentumseinziehungen, für den Entzug von Erlaubnissen u.ä. aus. Dem Mangel wurde jedoch in der DDR-Staats-/Justizpraxis abgeholfen, indem der DDR-einheitliche Vordruck »Verwirklichungsersuchen« durch manuelle Zusätze der Gerichtssekretär(e)/innen bei Bedarf zugunsten des MfS geändert wurde (dem Verfasser ist nicht bekannt, ob diese Praxis durch eine Vereinbarung zwischen den Ministern der Justiz/Staatssicherheit belegt ist). Die Einziehung von Gegenständen oder Vermögen fiel so gerichtsamtlich dem MfS zu, welches sich durch Beschlagnahmen in Ermittlungsverfahren ohnehin in deren Besitz gebracht hatte.

Die Verwertungslinien gingen nach der Beschlagnahme der wertvollen Sammlungen von der Tresorverwaltung des Ministeriums der Finanzen über die Kunst & Antiquitäten GmbH direkt zu den NSW-Geschäftspartnern. Diese Praxis erregte bereits vor der deutschen Einheit einiges Aufsehen (Friedrich Karl Fromme: Wie die DDR sich im Antiquitätenhandel betätigt, FAZ vom 5.1. 1988), ohne daß jedoch der Tatvorwurf der Partirerei die »gewachsenen« Handelsbeziehungen hätte beeinträchtigen können.

Im Rahmen der Arbeit am Thema »SED-/MfS-Finanzgebaren als Bestandteil des repressiven DDR-Systems« und der Vertretung von Betroffenen in Rehabilitierungsverfahren wurden durch einen Westberliner 1973 ausgelöste Ermittlungsverfahren des MfS Gegenstand vertiefender Recherchen. Das Ergebnis: Eine Anhäufung von Ungereimtheiten, von rechtsbeugender Beschneidung der strafprozessualen Rechte der Beschuldigten über beliebige Verlängerungen der Untersuchungshaft bis hin zur vorsätzlich organisierten Unordnung im Umgang mit Asservaten – Herkunft und Verbleib von Beschlagnahmungen waren gemäß Mielke-Weisung zu verwischen. Die Ermittlungsverfahren 1973/1974 warfen dem MfS reiche Beute an Gold- und Silbermünzen, Goldschmuck, Barrengold sowie Antiquitäten ab. Gerichtliche Verwirklichungsersuchen besorgten diesen unerwarteten (?) Zufluß in den »Juliusturm« des MfS. Dem war vorausgegangen, daß das SEW-Mitglied H. B., während seiner etwa 400 Einreisen binnen zweier Jahre dem MfS auffällig geworden, im Juli 1973 einer gezielten Kontrolle unterworfen und in Untersuchungshaft genommen wurde. Tatvorwurf: Zollverbrechen, Verbrechen gegen die Geldverkehrsordnung sowie das Edelmetallgesetz durch Schmuggel von Gold- und Silbermünzen (Einfuhrgut: Münznachprägungen ohne numismatischen Wert, Schmuck), Goldschmuck und Antiquitäten. Aber auch zwei Kubikmeter »Das Kapital« waren für den gewinnbringenden Absatz in Westberlin gedacht.

Auffallend bei den Vernehmungen durch die HA IX sind das Mitteilungsbedürfnis B.s und sein wiederholter Wunsch nach persönlichen Erklärungen. Er betrieb offensichtlich seinen eignen »Freikauf«. Nach mehrmonatiger Untersuchungshaft wurde er gegen 115.000 DM Sicherheitsleistung, die der Generalstaatsanwalt der DDR einkassierte, von seinem MfS-Vernehmer an einen Grenzübergang nach Westberlin gefahren und auf freien Fuß gesetzt. Durch das Bezirksgericht Neubrandenburg erfolgte im August 1974 eine Verurteilung in Abwesenheit zu dreizehn Jahren Haft. Vernehmungsprotokolle, persönliche Erklärungen und Urteil standen als Beweismittel in den Prozessen gegen DDR-Bürger zur Verfügung. Für die Einleitung von dreißig Ermittlungsverfahren in der DDR unter massiven Beschuldigungen war der Grundstein gelegt.

Unter den Beschuldigten und zu mehrjähriger Haft Verurteilten war auch ein Museumsdirektor aus dem Berliner Raum. Dieser reizte die latenten kriminellen Neigungen des MfS auf besondere Weise an. Dem Münzspezialisten, der auch als Belastungszeuge in anderen Fällen herangezogen wurde, trug man 1974 auf, ein Gutachten zur Nachprägung historischer Münzen zu erarbeiten, eine Machbarkeitsstudie. Die am 21.5.1974 abgelieferte Arbeit, die dem MfS ganz detailliertes Fachwissen zur Herangehensweise an Münznachprägungen vermittelte, war erfolgverheißend. DDR-Museen, die die Prägestöcke seltener Münzen in ihrem Fundus hatten, wurden gleich mitbenannt. Dem MfS wurde vorgeschlagen, zunächst durch die Nachprägung von Raritäten (u.a. der Münze »Friedrich der Weise« mit einem Katalogwert von 50.000 DM) die finanziellen Mittel zur Einrichtung der technischen Vorrichtungen zu erwirtschaften. Danach erst sollten unter größter Geheimhaltung, so die Empfehlungen des »Fachberaters«, Nachprägungen im großen Stil anlaufen und die NSW-Märkte eingedeckt werden.

Die beteiligten MfS-Mitarbeiter müssen der Suggestion erlegen sein, daß diese Idee ihnen zu Ruhm und Ehre und der DDR-Volkswirtschaft zu beträchtlichen Deviseneinnahmen verhelfen könnte. Doch in externen Konsultationen kam Skepsis auf. Die Idee war offensichtlich nicht neu und auch schon in Einzelfällen im Operationsgebiet getestet worden, aber um den Preis, daß sofort der Verdacht der Münzfälschung von Staats wegen auf die DDR gefallen war. Die Angst vor den politischen Folgen war den wahrscheinlich seinerzeit Beteiligten, die für diese Aktion unverzichtbar waren, noch gegenwärtig. Außerdem ist belegt, daß der Tatbestand vor dem Hintergrund des StGB vom 15.5.1871 einschließlich bundesdeutscher Anpassungen abgeklärt wurde.

Auffällig ist bereits für diese Zeit, daß das MfS zu einem beachtlichen Besitz an Goldbarren gelangte. Beschlagnahmeprotokolle und Fotografien dieser Beweismittel, die den Tatbestand »Verbrechen gegen das Zollgesetz und Edelmetallgesetz« immer treffsicher stützten, offenbaren eine Ungereimtheit. Während in Beschlagnahmeprotokollen »Goldbarren kapitalistischer Banken« mit allen Detailangaben der international üblichen Identifikationsprägungen der auftraggebenden Banken aufgeführt sind, sind bei anderen Goldbarren nur Anzahl und Gewicht angegeben. Dieser Sachverhalt muß herausgehoben werden. Für das MfS lieferte er nach den bisherigen Recherchen des Verfassers zu keiner Zeit verdachterregende Hinweise auf mögliche Goldschmelzen außerhalb des Staatsmonopols. Diese »regelwidrige« Akzeptanz einer herausragenden Auffälligkeit ist dann (und nur dann) erklärlich, wenn das Wissen um die Hintergründe im eigenen Haus bewahrt wurde.

Hieran binden sich Fragen, ob das MfS allein oder im Verbund mit Koko-Unternehmen über Kapazitäten verfügte oder solche von Geschäftspartnern im Operationsgebiet nutzte, um Gold- und Silberbestände in gewinnabwerfende Produkte (Schmuck, Münzen, Medaillen) zu veredeln.

Leider ist zu verzeichnen, daß die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) und die Staatsanwaltschaft II diesen Bereich von DDR-Staatskriminalität eher nachlässig behandelte. Die Strafanzeige, die das FORUM wegen der Säuberung des MfS-»Juliusturms« durch die Aktionen vom 20.12.1989 und 4.1.1990 gestellt hatte, blieben jedenfalls ergebnislos.

In den belastenden Aussagen des H. B. über einen Kleinunternehmer im südlichen Berlin, dessen Lebenswerk durch Haft und Gewerbeerlaubnisentzug vernichtet wird, kommt »anonymen Goldbarren« mit vorgenannten Merkmalen eine erdrückende Beweislast zu. Der Betroffene, heute kurz vor Vollendung des 81. Lebensjahrs stehend, ringt seit nunmehr 13 Jahren um Kassation des Strafurteils vom 15.10. 1974 bzw. um Rehabilitierung oder Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 StPO. Der vom Brandenburgischen OLG nicht rehabilitierte, aber durch dieses Gericht 1995 exzessiv mit zwei Jahren Freiheitsstrafe belegte Tatbestand der Steuerverkürzung ist zunächst unter »Kuriosa in Rehabilitierungsverfahren von SED-Unrecht« einzuordnen. Er hat aber vor allem dafür zu stehen, daß SED-Justizunrecht in Rehabilitierungsverfahren nicht nur verlängert, sondern unerträglich verschärft wurde.

Nach der Wende hat der Betroffene, nicht die Staatsanwaltschaft, seinen Hauptbelastungszeugen in Westberlin ausfindig gemacht, aufgesucht und bezüglich der belastenden Aussage zur Rede gestellt. Das Ergebnis: H. B. hat am 22.12.1993 durch schriftliche Erklärung die Übergabe von Goldbarren an den Betroffenen nicht widerrufen, sondern erklärt, daß die Goldbarren nicht von ihm stammten.

Es stellen sich damals wie heute die Fragen, woher die »anonymen Goldbarren« kamen, die im Besitz des MfS zu universellen Beweismitteln wurden, und woher jene Schmuckstücke im DDR-Nachlaß, die nach den Feststellungen eines namhaften Berliner Juweliers keine Punzierungen als Ursprungshinweis auf den kunsthandwerklichen Schöpfer aufweisen.

Mit drei hier zur Veröffentlichung gelangenden Fotografien werden »Eingeweihte« oder Träger bisher nicht schlüssigen Wissens aus Forschungen zum Gegenstand ersucht, sich über die Redaktion an den Verfasser zu wenden. Es geht schließlich auch darum die Aufklärung von Eigentumsansprüchen an den letzten (?) 56 Schmuck-/Wertgegenständen aus dem DDR-/KoKo-/MfS-Nachlaß weiter zu betreiben, die das FORUM vom Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) für diesen Zwecke in Ausleihe genommen hat.

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Reinhard Dobrinski, geboren 1943, Diplomwirtschaftler, Prüfer in einer Berliner Landesbehörde, lebt in Berlin. 1989/1990 Sprecher der SDP/SPD am Runden Tisch in Berlin-Mitte. Gründungsmitglied des FORUMSs zur Aufklärung und Erneuerung e.V.; seit 1999 Vorstandsvorsitzender, Veranstalter von Foren zur DDR-Staatskriminalität, Träger des Forschungsthemas »SED-/MfS-Wirtschafts- und Finanzgebaren...«

Veröffentlichungen: Mitherausgeber von Publikationen des FORUMs wie »Wie konnten wir das zulassen?! Staatskriminalität – ein Tribunal nach 10 Jahren« (1999); »Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! 28 Erwiderungen auf Ihr Deutschlandbild oder Warum Geschichte haftbar macht«, Forum Verlag Leipzig 2002; »Splitter aus einem Jahrzehnt – Aufarbeitung von Diktaturunrecht der DDR«, Berlin 2002


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1 Hilde Benjamin: »Volkseigentum ist unantastbar«; NJ 1953 Nr. 3 S. 61.
2 Reuter, Heinrich: »Das Gesetz zum Schutz des Volkseigentums und die gerichtliche Praxis«, NJ 1953 Nr. 7 S. 231.
3 Es wird hierzu verwiesen auf Blutke, Günter: Obskure Geschäfte mit Kunst und Antiquitäten, Chr. Links Verlag, Berlin 1994 und den Bericht vom 27.5.1994 des Schalck-Golodkowski-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages (Drs. 12/7600, S. 49, 131, 515).





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