Eine sehr unschöne Meldung in der Zeitung
Thüringer Allgemeine
LOKALNACHRICHTEN
Rätsel um hohe Krebsrate
Anhand von Versichertendaten hat die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) erstmals einen Gesundheitsreport für Eisenach und den Wartburgkreis veröffentlicht. Es gibt Erkenntnisse, die erschrecken.
EISENACH. Eine zwanzigseitige Tabelle gibt Auskunft über wichtige Krankheitsarten. Fachleute können aus ihr herauslesen, wieviele Menschen betroffen sind und wie oft Krankschreibungstage daraus resultieren. Die DAK hat die Daten nicht nur thüringenweit erhoben, sondern erstmals auch nach Landkreisen bzw. Regionen aufgeschlüsselt. Als einen "Besorgnis erregend hohen Wert" bezeichnete DAK-Geschäftsführer Heiko Burkhardt gestern dies: In keinem Landstrich Thüringens werde so oft die Diagnose Krebs gestellt wie in Eisenach und im Wartburgkreis. "Und das mit weitem Abstand." Die Betroffenenquote von DAK-Versicherten liegt bundesweit bei 1,0 Prozent. In Thüringen sind es 1,3 Prozent. Die Wartburgregion komme auf 1,6 Prozent. Es folgen Schmalkalden-Meiningen (1,5), Erfurt und Gera (beide 1,4). Im Ilmkreis seien es 0,9 Prozent. "Das ist ein schrecklicher Platz eins für uns", so Burkhardt. Wie groß der Abstand auf andere Regionen ist, verdeutlichen die Arbeitsunfähigkeitstage, bemessen auf hundert Versichertenjahre. Viele Landkreise und Städte in Thüringen haben einen Wert Mitte 30. Eisenach und Wartburgkreis kommen auf 87,5 Tage. Auch die dauernde Arbeitsunfähigkeit durch Krebs wird nirgendwo bei so vielen Patienten ausgelöst wie bei uns.Zu Ursachen dieser Ballung sind laut DAK keine wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt. Eisenachs Sozialbürgermeisterin Ute Lieske (pl) war anwesend, als der Report gestern vorgestellt wurde. Sie frage sich, sagte Lieske, ob die hohe Krebsrate womöglich mit dem Reaktorunglück von Tschernobyl zusammenhängen könnte? Es sei bekannt, dass nach dem Super-GAU am 26. April 1986 unzählige Fernlaster, ehe sie in die Bundesrepublik einreisen durften, wegen befürchteter Strahlenbelastung an der DDR-Grenze gereinigt werden mussten. Lieske: "Einer der Grenzübergänge war Wartha, und die Waschanlage war hier in Eisenach beim Kraftverkehr."Amtsärztin Dr. Babett Sippel sieht in dem Gesundheitsreport eine höchst aufschlussreiche Faktensammlung. Sie warnte jedoch, ohne genauere Informationen die hohe Krebsrate auf eine einzige Ursache zurückzuführen. "Hodenkrebs beispielsweise ist genetisch bedingt." Viele Darmkrebs-Erkrankungen wiederum sähen Experten im Zusammenhang mit bestimmten Lebensmitteln.Aussagen trifft der Report auch zum Krankenstand. Im Thüringenschnitt lag er 2006 unter DAK-Versicherten bei 3,5 Prozent. In Eisenach sind sie öfter krank: 3,8 Prozent. Den Höchstwert in Thüringen hat Gera (4,0 %). Die rechnerisch gesündesten DAK-Thüringer leben in Jena (3,1 %). Näher beleuchtet wurden zehn Krankheitsgruppen - von Infektionen über Kreislaufprobleme bis zu Atmungsbeschwerden. Unvermutetes Fazit: Wenn die Eisenacher zum Arzt gehen, dann schmerzen am häufigsten Muskeln oder Knochen. Und zwar mit Riesenabstand. Hierzu fehlt gleichfalls eine Analyse im Detail. Es gibt aber einen Erklärungsansatz, denn die Krankenkasse legt ihrem Report auch Gespräche mit Patienten zugrunde. Demnach wird vermutet, dass die außergewöhnliche Industriedichte an vielen Arbeitsstellen Tätigkeiten mit großem körperlichen Verschleiß mit sich bringt. "Jeden Tag acht Stunden am Band, das spürt der Körper", so Burkhardt.Die DAK betreut in ihren Büros Eisenach und Bad Salzungen rund 10 000 Versicherte.
Sven-Uwe VÖLKER
29.11.2007